Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung Filmrezension

"Civil War": Wenn Amerikaner auf Amerikaner schießen

Alex Garlands neuer Kinofilm mit Kirsten Dunst fasziniert, rüttelt auf und verstört zugleich.
Regisseur Alex Garland am Set seines neuen Films "Civil War" (2024).
Foto: IMAGO (www.imago-images.de) | Alex Garland ist es gelungen, mit „Civil War“ einen radikalen Antikriegsfilm zu erschaffen.

Es herrscht Bürgerkrieg in den USA – zumindest in „Civil War“, dem neuen und wohl finalen Film von Regisseur, Drehbuchautor und Produzent Alex Garland, der mit 50 Millionen US-Dollar die bisher teuerste Produktion des kleinen, aber erfolgreichen Filmstudios A24 darstellt.

Ein amerikanisches Requiem

Klar ist: „Civil War“ hätte auch gut „America Now“ heißen können – denn überdeutlich sind sowohl die inhaltlichen wie inszenatorischen Parallelen zu Francis Ford Coppolas Klassiker „Apocalypse Now“ (1979). Nur geht es in Garlands Antikriegsdrama für seine Protagonisten nicht in das Herz der Finsternis, sondern in das Herz der Macht: Nach Washington D.C. Die Kriegsfotografin Lee (Kirsten Dunst) plant mit ihren Journalisten-Kollegen Joel (Wagner Moura), Sammy (Stephen Henderson) und der Nachwuchs-Fotografin Jessie (Cailee Spaeny) einen Road-Trip von New York in die Hauptstadt der USA, der sich aber schließlich für alle Beteiligten als ein grauenhaftes Himmelfahrtskommando erweist. Die USA befinden sich nämlich aus nicht näher genannten Gründen in einem Bürgerkrieg, in dem die beiden politisch rivalisierenden US-Staaten „Texas“ und „Kalifornien“ sich als „Western Forces“ mit anderen Gruppierungen gegen die amtierende US-Regierung verbündet haben und den Präsidenten (Nick Offerman) stürzen wollen, da dieser dabei ist, die USA in eine Diktatur zu verwandeln.

Denn dieser hat die Verfassung geändert, sich selbst eine dritte Amtszeit verpasst, das FBI aufgelöst und bombardiert sein eigenes Volk. Lee will mit ihren Kollegen nach Washington reisen, um ein vermeintlich letztes Interview mit dem Präsidenten zu führen, dessen Truppen mit dem Rücken zur Wand stehen und in die Defensive geraten sind. Bei ihrem Vorstoß merken sie bereits beim ersten Zwischenstopp, dass Gesetze und demokratische Strukturen in diesem Bürgerkrieg ihre Gültigkeit verloren haben und Wahnsinn und soziale Verrohung immer mehr um sich greifen. Je länger ihre Reise dauert, desto erschreckender werden die Entdeckungen, welche die Reporter machen und mit ihren Kameras nüchtern festhalten, damit andere später die Bilder geschichtlich und politisch einordnen können. Schließlich findet der brutale Trip in die Abgründe der Unmenschlichkeit in einem packenden Finale in der US-Hauptstadt sein Ende.

„Civil War“ macht keine Gefangenen, weder im wörtlichen, noch im übertragenen Sinne und bleibt dem ganzen Kriegstreiben gegenüber kompromisslos neutral. Der Film schlägt sich zu keiner Zeit auf irgendeine Kriegsseite und deutet das Geschehen auch nicht, sondern dokumentiert es lediglich aus der Sicht der Kriegsjournalisten, die mit ihren Kameraobjektiven aus nächste Nähe objektiv und schonungslos den Irrsinn des Bürgerkriegs auf Film festhalten. Eines Kriegs, bei dem es zunehmend keine Rolle spielt, auf welcher Seite man steht, denn in diesem Krieg einer zutiefst gespaltenen Nation gibt es keine gute Seite, auf die man sich schlagen könnte. Alle Seiten folgen Doktrinen und Befehlen und alle Seiten schießen, weil der jeweils andere schießt. Sie üben Selbstjustiz und töten, bevor man sie selbst tötet – mehr Begründung bekommt der Zuschauer nicht in diesem intensiven und brutalen Spiel um die Macht im Land, die seine Bürger zum Spielball von politischen Interessen macht.

Filme, die Kriege thematisieren, laufen oft Gefahr, durch die Macht ihrer Bilder das Kriegsgeschehen einseitig zu glorifizieren und romantisch zu überhöhen. Nur wenigen Filmen gelingt es tatsächlich, den kriegerischen Konflikt als ein für alle Beteiligten monströses Ereignis zu präsentieren, indem als erstes die Wahrheit und als zweites die Menschlichkeit stirbt. „Civil War“ gehört dazu und zeigt in drastischen Bildern, die sich in die Netzhaut einbrennen und die man so schnell nicht vergisst, den permanenten Verlust von Moral und Menschlichkeit sowie das Anwachsen von Chaos und Verwüstung „God? own Country“. Damit bildet er ein dystopisches Schreckensszenario ab, das in der aktuellen politischen Situation der USA als Option beängstigend real wirkt.

Kein Film zum Alleineschauen

Vor zehn Jahren hätte man den Film und seinen Plot wahrscheinlich noch als plumpes B-Movie abgetan. Doch nach dem Sturm aufs Kapitol vor drei Jahren und kurz vor den Präsidentschaftswahlen im November dieses Jahres wird man nachdenklicher. „Wehret den Anfängen“ scheint uns dieser Film entgegenzurufen, indem er uns die Konsequenzen eines Bürgerkriegs auf US-amerikanischem Boden zeigt und damit wie ein direkter Schlag in die Magengegend daherkommt. Stellvertretend dafür stehen die beiden Fotografinnen Jessie und Lee: Während die eine noch unerfahren ist und  im Bilderrausch des Grauens ihre Seele und den Glauben an das Gute im Menschen zu verlieren droht, kämpft die andere, die in ihrem Job schon zu viel Leid und Tod gesehen hat, darum, ihre Menschlichkeit wiederzufinden, selbst wenn es sie einen hohen Preis kosten sollte.

„Civil War“ ist einer jener Filme, die man sich aufgrund seines drastischen Themas und seiner dokumentarisch-real anmutenden Inszenierung von Kriegsverbrechen nicht alleine anschauen sollte, denn man wird nach der Sichtung dieses Dramas definitiv Gesprächsbedarf haben, um das Gesehene zu verarbeiten und für sich einzuordnen. Der Film fasziniert ebenso wie er verstört. Dabei erzeugt der Film seine große und nachhaltige Wirkung nicht nur durch seine kompromisslose Inszenierung, die audio-visuell stark an „Apocalypse Now“, die Endzeitserie „The Last of Us“ oder auch den Oscar-Preisträger „The Zone of Interest“ erinnert, sondern auch durch sein durchweg beeindruckendes Darsteller-Quartett, zudem sich vor allem noch Jesse Plemons als wildgewordener Miliz-Soldat in einer kurzen, aber unvergesslich intensiven Filmsequenz dazugesellt.  Über diese Szene, die der Frage nachgeht, „wer ein wahrer Amerikaner ist“, wird man noch viel sprechen, denn sie wirkt auch noch lange nach dem Abspann nach. Sie zeigt eindrucksvoll und beklemmend, wie schnell sich vermeintlich unumstößliche humanitäre Konzepte komplett auflösen können und wie hauchdünn die Decke unserer modernen Zivilisation ist.

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Nachdem Alex Garland mit seinen beiden visionären Meisterwerken „Ex Machina“ (2014) und „Auslöschung“ (2018) filmische Ausflüge ins Science-Fiction-Genre unternommen und mit seinem letzten Film „Men“ (2022) den Body-Horror ergründet hat, widmet er sich in „Civil War“ einer gesellschaftlichen Dystopie, die vom Setting her durch ihre episodenhafte Erzählung und dramatischen Bilder an postapokalyptische Action-Filme erinnert, dabei aber mehr Road-Movie-Drama und spannungsgeladener Thriller als Action-Film ist. Ähnlich den gespenstisch leeren Straßen Londons in Garlands Drehbuch für „28 Days Later“ (2002), einem Zombiefilm, der das Genre neu definierte oder auch der von ihm inhaltlich verantworteten Comicverfilmung „Dredd“ (2012), welches in der fiktiven, gesetzlosen Zukunfts-Megastadt Mega-City-One spielt, werden vertraute, ikonenhafte Bilder von New Yorker Straßen bis hin zum Kapitol der Vereinigten Staaten durch die adrenalingeladenen Ereignisse, die er dort stattfinden lässt, radikal in einen neuen Kontext gestellt.

Wenn Humanität in Bestialität umkippt

Gleichzeitig zeigt der Regisseur, wie gefährlich und wichtig die Arbeit von Kriegsreportern ist und was das für Menschen sind, die mitunter als Adrenalinjunkies unter Einsatz ihres Lebens für einen gelungenen Schnappschuss in Kauf nehmen, selbst erschossen zu werden. Garland ist in allen Belangen ein großartiger und wichtiger Film gelungen, der zwar anfangs seine Zeit braucht, bevor man sich als Zuschauer auf das Geschehen wirklich einlassen kann, der aber dann umso mehr seine volle Kraft entfaltet. Indem er den Finger in die Wunden unserer Zeit legt, ohne sich propagandistisch auf die Seite irgendeiner politischen Strömung zu schlagen, zeigt er schonungslos auf, was passiert, wenn in einem Klima großer gesellschaftlicher Spaltungen und verhärteter Fronten einander nicht mehr zugehört, Doktrinen und (Ver-)Führern gefolgt wird und man als Nation schließlich unter einem zunehmenden Extremismus auseinanderbricht.

„Civil War“ entwickelt damit eine gespenstische Intensität und ist eine markerschütternde und aufrüttelnde Mahnung sowohl für die US-amerikanische, als auch für jede andere demokratische Gesellschaft und bleibt hoffentlich eine Hollywood-Dystopie, die nie zur Realität wird.

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